Mit Nazis reden?

Wie kann man Menschen, die unbehelligt in einer SS-Uniform daherstolzieren und der Wehrmacht und Waffen-SS gedenken, angemessen begegnen – ganz gleich, wo auf dieser Welt? Versuchen, mit ihnen zu reden? Auf sie zugehen – so, wie die SS auf die Gegner der Nazi-Diktatur. Wäre das angemessen? Vielleicht – Aber Moment, die SS wollte ja gar nicht reden! – Eben …

Die schweigende Mitte der Gesellschaft

Jene Mitte der Gesellschaft, jene schweigende Mehrheit, die Aiwanger und Söder jüngst in Erding beschworen haben – das ist eben jene Mehrheit, die vor rund 90 Jahren bis zuletzt die Stütze des Nazi-Regimes war und dann angeblich von nichts wusste. Zugegeben – die bayrischen Spitzenpolitiker sind keine Nazis – nein – sie sind ihre Erben und gehen den kommenden voraus, sind ihre Steigbügelhalter. Am Ende dann heißt es: Das haben wir nicht gewollt – aber das will man ihnen dann auch nicht mehr glauben!

Wenn der Rechtsstaat an seine Grenzen stößt

Die Klimakrise ist die existenzielle Bedrohung, vor der uns und kommende Generationen zu schützen der Staat die Pflicht hat. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, delegitimiert er sich grundlegend.

Dabei ist die nahende Klimakatastrophe zugleich eine unmittelbare Bedrohung auch für die Demokratie. Ihr Kern, die auf allgemeinen und freien Wahlen beruhende Mehrheitsentscheidung verliert jede Legitimität. Kinder und junge Menschen, Menschen in weit entfernten Regionen – sie müssen es nicht hinnehmen, wenn überwiegend senile Egomanen, die die Konsequenzen ihres Handelns kaum noch werden erleben müssen oder sie schlicht ignorieren, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Lebensgrundlagen und die Aussicht auf ein Leben in Selbstbestimmung mutwillig zerstören. Zumindest diese in ihrer Existenz bedrohte Generation hat jedes Recht, die kommende Katastrophe aufzuhalten, so weit noch irgend möglich – mit allen Mitteln und mit aller Macht – auch gegen vermeintliche Mehrheiten!

Aber die Demokratie! nun, wurde sie nicht eigentlich schon in dem Moment zu Grabe getragen, in dem das Gewicht des Kapitals es zugelassen hat, dass Minderheiten mit milliardenschweren Desinformationskampagnen jede freie Meinungsbildung zur Farce werden ließen und das Ideal einer auf rationalen Konsens setzende Gesellschaft der Lächerlichkeit preisgegeben hat?

Im Würgegriff der schwarzen Null

Es ist beruhigend, einen Finanzminister zu haben, der sich auch um künftige Generationen sorgt. Schon allein in ihrem Interesse, so betont er immer wieder, müssen wir die Schuldenbremse einhalten – koste es, was es wolle. Da dürfen die jungen Menschen aber beruhigt in die Zukunft blicken, denn sie wissen: Wenn die Klimakatastrophe erst einmal richtig über sie hereinbricht und kein Geld dieser Welt mehr die Schäden wird kompensieren können, sind sie doch wenigstens schuldenfrei!

Unsägliche Meinungsfreiheit

„Mein Herr, ich bin nicht Ihrer Meinung. Aber ich würde dafür sterben, dass Sie sie äußern dürfen“. Dieser Satz Voltaires wird immer wieder gerne bemüht, um eine vorgeblich unter die Räder des Mainstream geratenen Debattenkultur zu retten, aber wir dürfen nicht vergessen, aus welchen Zeiten diese Äußerung resultiert. Sie muss als Reaktion auf einen Diskurs verstanden werden, der durch den absoluten Souverän dominiert wurde und die Gedankenfreiheit wurde als Keim begriffen, der dereinst auch die des Handelns nach sich ziehen sollte. Dass wir heute das Problem haben, dass Meinungen nicht mehr hinreichend geäußert werden dürfen, scheint nicht das vordringliche Problem zu sein. Im Gegenteil: Die Agnotologie lehrt uns, dass vielleicht gerade das Gegenteil der Fall ist, dass die wesentlichen (wissenschaftlichen) Erkenntnisse in einer Flut der Halb und Unwahrheiten untergehen – ganz so, wie in den 1960er und 1970er Jahren die medizinischen Erkenntnisse über die Gefahren des Nikotins und des Tabaks systematisch durch ausgefeilte Desinformationskampagnen bekämpft worden sind. Im Zeitalter der Massenmedien bringt man die Wahrheit nicht mehr zum Schweigen, man ertränkt sie in einer Flut von Lügen und Halbwahrheiten.

Wann ist’s genug?

„WANN IST’s GENUG?“ – so der Spruch, den ein junger Mann auf einer Corona-Demo vor sich herträgt (siehe SZ vom 28.12.2021). Vermutlich ist ihm nicht bewusst, wie gut er damit die psychosozialen Auswirkungen der Corona-Krise beschreibt, vor allem aber auch jener, die uns als Folge der bereits einsetzenden Umweltkatastrophen noch bevorstehen. Die große Mehrheit der unter 70-jährigen sind bisher von wirklichen Krisen verschont geblieben. Ein bisschen Inflation in den 1970ern, ein bisschen Strukturwandel – wohlgemerkt Wandel, kein Zusammenbruch – das war’s dann aber schon. Und nun Corona und seine spürbaren Einschränkungen einer für selbstverständlich genommenen Freiheit, die sich nicht selten aus Gedankenlosigkeit speist und häufiger längst in Egoismus und Selbstgerechtigkeit umgeschlagen ist. Die Frage, die er vor sich herträgt, spiegelt die tiefe Verunsicherung, die die Menschen zweifellos auch schon vor Corona gespürt haben ob der drohenden Veränderungen, die sich allenthalben abzeichnen. Die Welt, wie wir sie eigentlich schon seit den 1960ern kennen, gibt es nicht mehr, obwohl sich viele daran abarbeiten, den Schein aufrechtzuerhalten: Die Kluft zwischen Arm und Reich, der Klimawandel mit all seinen Auswirkungen, das Artensterben, die Umweltzerstörung, das Bevölkerungswachstum – die Liste ist lang und wer der Wissenschaft aufmerksam zuhört, bekommt eine Ahnung davon, was uns in Kürze bevorsteht und wie viele unserer liebgewonnenen Gewohnheiten nur noch dazu beitragen, die Krise zu verschärfen. Und damit lässt die eingangs gestellte Frage nur eine Antwort zu: Noch lange nicht – es fängt gerade erst an!

Gendern vs. Freiheit?

Ein beliebter Einwand der Gegner(Innen) des Genderns ist der Verweis auf einen von einer imaginären Elite oder Institution aufoktruierten Zwang, der der Sprache, der dem individuellen Sprachgefühl Gewalt antue. Einmal mehr muss vordergründig die Freiheit herhalten, um Reflektion und Innovation zu maßregeln. Dieses Manöver ist so einfältig wie durchschaubar: Als obläge die Adaption sprachlicher Strukturen unserer freien Entscheidung, als sei das Denken voraussetzungslos und einzig Ausdruck eines freien Willens! Spätestens seit Whorf wissen wir um um den Zusammenhang von Sprache, Denken und Wirklichkeit. Wir werden in eine Sprache hineingeboren und adaptieren sie zunächst unreflektiert. Dass es dabei nicht bleibt, dass eine neue Wirklichkeit möglich wird, darum ringen all jene, die sich an den Potenzialen des Genderns abarbeiten.

Prechtig oder …

Richard Davids Precht beklagt in der ZEIT vom 17.11.2021 die Intoleranz der Geimpften und beschwört eine vermeintlich antike Tugend, die „Selbstbeherrschtheit im Austeilen und Gelassenheit im Ertragen“. Si tacuisse … möchte man ihm entgegnen. Natürlich ist Toleranz ein konstitutives Moment jeder freiheitlichen Ordnung. Die Menschen mögen denken und glauben, wie es ihnen beliebt – solange dieser Glaube auf das Private beschränkt bleibt und nicht übergriffig wird. In einem pandemischen Geschehen bleibt die Frage, ob mensch sich impfen lässt oder nicht, aber keineswegs im Privaten, denn die Pandemie betrifft alle unmittelbar – lokal, regional und sogar global. Doch zurück zur Gelassenheit im Ertragen. Fordert er sie allen Ernstes von den Ärzten und Pflegern auf unseren Intensivstationen. Fordert er sie von all denen, die um ihr Leben fürchten müssen, weil dringend erforderliche Operationen ein ums andere Mal verschoben werden müssen, bis es vielleicht zu spät ist. Offensichtlich – hier aber stößt die Toleranz an ihre Grenze und sie einzuklagen bedeutet, die individuelle Befindlichkeit und den Egoismus bar jeder Verantwortung für die Anderen zum alleinigen Maßstab zu erheben. Übrigens endete für die Griechen Freiheit und Toleranz eben dort, wo die Polis in Gefahr geriet. Und dann waren sie unerbittlich!

Dialektik der Identitätspolitik

Vielleicht auch als Gegenbewegung zur Globalisierung und der langen Geschichte der Diskriminierung zugleich lässt sich die Tendenz beobachten, identitätsstiftenden Merkmalen eine herausragende Bedeutung zu verleihen oder zurückzugeben. Man mag das auch als neues Selbstbewusstsein deuten, als Schritt, der aus einem ausschließenden Merkmal ein auszeichnendes macht. Doch man darf nie vergessen, dass diese Sichtweise impliziert, dass das einstmals Trennende als eben solches festgeschrieben wird, nur mit neuem Vorzeichen. Und dann verstetigt es nur, was es überwinden soll: die Diskriminierung.