Im Würgegriff der schwarzen Null

Es ist beruhigend, einen Finanzminister zu haben, der sich auch um künftige Generationen sorgt. Schon allein in ihrem Interesse, so betont er immer wieder, müssen wir die Schuldenbremse einhalten – koste es, was es wolle. Da dürfen die jungen Menschen aber beruhigt in die Zukunft blicken, denn sie wissen: Wenn die Klimakatastrophe erst einmal richtig über sie hereinbricht und kein Geld dieser Welt mehr die Schäden wird kompensieren können, sind sie doch wenigstens schuldenfrei!

Schutz des Eigentums

Im Live-Blog der tagesschau vom 29.04.2020 wird um 17:43 Dominik H. Enste vom Institut der Deutschen Wirtschaft mit den Worten zitiert, einen ultimativen Schutz des Lebens gebe es nicht. Nun, das ist zweifellos eine Binsenweisheit, nicht nur und nicht erst, seit es den Kapitalismus gibt, in dem das Leben der anderen noch nie viel gegolten hat. Wenn aber nun das Recht auf körperliche Unversehrtheit relativiert, das Leben der Geborenen zumindest in seinem aktuellen Wert zur Disposition gestellt wird, um mit den Ansprüchen anderer Güter verrechnet zu werden, was bedeutet das für rein materielle Werte wie das Recht auf Eigentum? Das scheint ganz offensichtlich nicht zur Diskussion zu stehen, bleibt weiterhin ein Tabu. Dabei liegt auf den Konten des besagten einen Prozents genug, um das kommende Elend nach von Corona aufzufangen.

Eines können wir zweifelsfrei konstatieren: Dominik H. Enste hat die Wertorientierung des Kapitalismus auf den Punkt gebracht: Einen ultimativen Schutz des Lebens gibt es nicht – nicht in der Corona-Krise, nicht in der Klima-Krise, nicht in den prekären Lebensverhältnissen weder in Asien, noch in Afrika oder Lateinamerika und nicht einmal in den Ghettos westlicher Metropolen.

„Change the system, not the climate“

Es ist durchaus offen, ob es ein anderes System (noch) schaffen kann, das Schlimmste zu verhindern – zumal sich ein anderes gegenwärtig kaum abzeichnet, zumindest nicht als konkretes Modell. Es darf allerdings als sicher angenommen werden, dass dies dem Kapitalismus und der repräsentativen Demokratie kaum gelingen wird. Politik und Wirtschaft sind frühzeitig gewarnt worden und hatten nahezu 50 Jahre Zeit, durch behutsame Lenkung die Entwicklung eines nachhaltigen Wirtschaftens auf den Weg zu bringen. Statt dessen haben sie die zerstörerischen Kräfte des kapitalistischen Systems immer mehr entfesselt. Der Kapitalismus der letzten zweihundert Jahre jedenfalls ist nur noch eines: die Bankrotterklärung der menschlichen Vernunft – und unserer demokratischen Strukturen.

Das Geheimnis wirtschaftlichen Erfolges

Natürlich glauben wir längst nicht mehr, dass der Reichtum des Adels auf der gottgegebenen Ordnung des Kosmos und dem Privileg des Blutes beruht statt auf Knechtschaft, Sklaverei und Willkür. Und es gehört schon eine gehörige Portion Naivität dazu, zu glauben, dass der Reichtum des Bürgertums im Wesentlichen auf Fleiß und ehrbarer Arbeit beruht statt auf Unterdrückung, noch mehr (Lohn-)Sklaverei und der hemmungslosen Ausbeutung aller verfügbaren Ressourcen? Warum aber sollten wir dann glauben, dass wirtschaftlicher Erfolg sich heute allein innovativem Geist und kaufmännischer Tugend verdanken statt – wie schon zuvor – sozialer Asymmetrie, anhaltender (Lohn-)Sklaverei und der noch hemmungsloseren Ausbeutung aller verfügbaren Ressourcen – ganz zu schweigen von Lug und Trug und Rücksichtslosigkeit als Geschäftsmodell? Was genau – bitte – soll sich geändert haben?

AKW zu verschenken

Die großen Energiekonzerne Deutschlands, E.On, RWE und EnBW, führen uns gerade deutlich vor Augen, wie sich der rein imaginäre Tatbestand der indirekten Enteignung ganz praktisch auszahlen kann. Erst verklagen sie die Bundesrepublik auf Schadensersatz für die entgangenen Gewinne durch die unverhoffte Wende in der Atompolitik, ausgelöst durch die japanischen Atomkatastrophe, dann unterbreiten sie dem Staat den Vorschlag, dieser solle doch die alten Atommeiler und – damit verbundenen – die zukünftigen milliardenschweren Risiken im Rahmen einer Stiftung als Eigentümer übernehmen. Generös, wie sie sind, wollen sie die für die Abwicklung gebildeten Rückstellungen quasi als Mitgift in die Stiftung einbringen. Kurz darauf dann lassen sie ganz beiläufig anklingen, man könne, wenn der Staat sich denn auf diesen Deal einlasse, die Klagen wieder zurückziehen.

Ganz gleich, wie man den Vorstoß der Energiekonzerne auch bewerten mag, nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier mit einer so schlichten wie selten dreisten Erpressung zu tun haben. Und wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, bis heute könne keiner seriös sagen, welche Kosten tatsächlich für den Rückbau der alten AKWs entstehen, so ist allein der Vorstoß der Energiekonzerne ein deutliches Indiz, dass die betreffenden Rückstellungen, die noch zu erwartenden Gewinne und mögliche Schadensersatzleistungen demgegenüber vermutlich nur Peanuts sind.

Bedrohung durch Parasiten

Monsanto besorgt sich – auf durchaus legalem Weg – in der Türkei Saatgut einer violetten Möhrensorte, die dort seit Jahrhunderten angebaut wird, bringt diese in die USA und beansprucht  nach kurzer Zeit Sortenschutzrechte sowohl in den USA (US PVPA Certificate 200400327) als auch in Europa (EU CPVO Certificate 20050779). Was bedarf es noch, um deutlich werden zu lassen, dass es diesem Konzern bei all seinem Engagement einzig und allein darum geht, sich parasitengleich in möglichst alle landwirtschaftlichen Wertschöpfungsprozesse zu drängen und dort unter minimalem Einsatz ein Maximum abzuschöpfen. Es bleibt ein Moment der Hoffnung: Immerhin ist Monsanto ja selbst Marktführer bei der Beseitigung von Parasiten.

Kriminelle Vereinigungen?

Konzerne, Banken, Fondsgesellschaften und andere Schwergewichte der internationalen Marktwirt­schaft nehmen für sich stets ganz selbstverständlich ein vermeintlich lauteres, weil den ethischen Grundsätzen einer modernen Gesellschaft verpflichtetes Geschäftsinteresse in Anspruch. Die Wirklichkeit straft sie allerdings Lügen: Wo immer gesetzliche Regelungen fehlen oder aber nicht durchgesetzt werden, wo auch immer der Blick einer kritischen demokratischen Öffentlichkeit verstellt ist, lassen sie jegliche Maskerade fallen und agieren gänzlich ungeniert nach den Regeln eines jeglicher sozialer Verantwortung entledigten Kapitalismus. Dabei ist es ganz gleich, ob es sich um die undurchsichtigen Niederungen der Finanzwirtschaft, die Arbeitsbedingungen in der asiatischen Bekleidungsindustrie, um die Zulieferer der Unterhaltungs­elektronik oder um die Rohstoffförderung in Afrika, Asien oder Lateinamerika handelt. Die Konsequenz kann nur sein, den internationalen Akteuren bis zum Beweis des Gegenteils als potentiell kriminellen Vereinigungen mit einem entsprechend gesunden Misstrauen zu begegnen. Eine Unschuldvermutung bis zum Beweis des Gegenteils zumindest mutet naiv an. (6. Dezember 2014)

Akkumulation

Bisher hat noch nahezu jedes Herrschaftsverhältnis früher oder später zu einer steigenden Konzentration der gesellschaftlichen Reichtümer in den Händen Weniger geführt. Und bisher hat diese Akkumulation noch in jeder Kultur bzw. jeder Gesellschaftsform einen Punkt erreicht, an dem auch die stärksten sozialen Bindungskräfte versagten und und die Verhältnisse – leider allzuoft in einem Blutbad – neu geordnet wurden. Es gehört schon eine gehörige Portion Naivität gepaart mit einem simplen Geist dazu, um glauben zu machen, der Kapitalismus sei vor einer solchen Entwicklung gefeit. Weil er ein Höchstmaß an Hegemonie erreicht hat? Weil er über eine ungeahnte Machtfülle und unerschöpfliche Ressourcen verfügt? Weil er einfach auf ein hochtechnisiertes Gewaltmonopol zurückzugreifen vermag? Die zahlreichen gewaltsam ausgetragenen Konflikte in aller Welt lassen deutlich werden, dass wir uns diesbezüglich keine Illusionen machen sollten. (01. Februar 2014)