Ehrenwerte Gesellschaft

Als Helmut Kohl im Jahre 1999 im Rahmen der Parteispendenaffäre über die Herkunft der Gelder befragt wurde, gab er an, er habe den Spendern sein Ehrenwort gegeben, ihre Anonymität zu wahren. Wenn er mithin sein Ehrenwort über das Gesetz stellt, dann befindet er sich zwar nicht in bester, aber doch in ehrenwerter Gesellschaft! (Vor 2017 – aber: Manche Kommentare sind einfach zeitlos!)

Wie viel Reichtum können wir uns noch leisten?

Wie viel Reichtum können wir uns noch leisten? Dass das Vermögen des reichsten Prozents der Weltbevölkerung auch in den Krisenzeiten beständig wächst, ist kein Geheimnis. Aktuell brisanter ist die Tatsache, dass eben dieses eine Prozent für mehr als doppelt so viel CO2 verantwortlich ist wie die ärmere Hälfte der Menschheit.1 Man mag das Skandal nennen – aber das trifft den Kern noch nicht: Wenn es um das Klima und die Einsparung von CO2-Emissionen geht, dürfen wir sicher sein, das diese ärmere Hälfte wohl kaum dazu beitragen kann. Die Zahl lässt aber ahnen, dass es vielleicht nicht einmal reicht, wenn das Gros der anderen Hälfte seinen Konsum und damit seinen CO2-Ausstoß deutlich drosselt – das besagte Prozent wird die Einsparungen schon zu kompensieren wissen. Insofern muss die oben gestellte Frage korrigiert werden: Nicht wie viel Reichtum ist die Frage als vielmehr: Wie viele Reiche kann sich dieser Planet noch leisten?

1 Vgl. Von König Midas lernen, taz-Kolumne von Ilija Trojanow, 14.10.2020 – https://taz.de/Die-Verantwortung-von-Superreichen/!5717517&s=trojanow/

Das Gift der Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit, so lautet das Zauberwort, das die Menschen aus der ökologischen Krise führen soll. Aber natürlich systemimmanent! Dabei sind Nachhaltigkeit und Kapitalismus eigentlich ein Widerspruch in sich! Denn im Kapitalismus interessiert es erst einmal nicht, was produziert wird, wie es produziert wird und welche Konsequenzen diese Produktion nach sich zieht. Kapitalistisches Wirtschaften heißt einzig, dass möglichst viele Menschen möglichst viel konsumieren, damit möglichst viel erwirtschaftet wird. Nachhaltiges Wirtschaften aber läuft auf einen möglichst geringen Ressourcenverbrauch für möglichst wenig Produkte hinaus: kurz – wir konsumieren nur das, was wir unbedingt brauchen – der Rest ist eben nicht nachhaltig, weil überflüssig! Und eben das ist Gift für unser Wirtschaftssystem.

In diesem Sinne sind die bisherigen Ansätze zum Klimaschutz nur wenig überzeugend: Wir brauchen nicht mehr Elektroautos – wir brauchen radikal weniger motorisierten Verkehr! Wir brauchen auch nicht mehr Recycling – wir brauchen weniger Müll, weniger Konsum und weniger Ressourcenverbrauch.

Besser spät als nie?

Altmeier hat nun eingestanden, dass er sich über die Jahre geirrt hat und darum in seiner bisherigen Laufbahn schlicht die falschen Prioritäten gesetzt hat. Natürlich ist man geneigt zu sagen: Besser spät als nie – selbst wenn es eigentlich schon zu spät ist. Zukünftig will er sich jedenfalls für eine Charta für Klimaschutz und eine starke Wirtschaft einsetzen. Die SZ vom 12.09.2020 zitiert ihn mit den Worten: „Das wäre ein historischer Kompromiß“. Diese Sichtweise indes ist verräterisch und macht deutlich, dass die Kehrtwende eigentlich keine ist: Sie suggeriert, dass wir es mit zwei Konfliktparteien zu tun haben, die sich aufeinander zu bewegen können – und wollen. Das Klima allerdings ist unserem Wohlbefinden gegenüber schlicht indifferent und – betrachtet man nur die späktakulärsten Auswirkungen, nämlich die verheerenden Brände in Nordamerika und Australien – eigentlich kompromisslos! Tendiert man darüber hinaus zu der Annahme, dass wesentliche Klima-Kipppunkte längst überschritten sind – dann ist die späte Einsicht nur eine andere Form der Verblendung, die Handlungsfähigkeit dort suggeriert, wo wir nur noch Getriebene sind.

Keine Verunsicherung bitte!

Schon de Maizière wollte es 2015 nach der kurzfristigen Absage eines Fußball-Länderspiels aufgrund einer Terrorwarnung unbedingt vermeiden, Teile der Bevölkerung zu verunsichern, und schwieg darum zu konkreten Erkenntnissen über die Gefährdungslage. Heute ist es Andy Scheuer, der davor warnt, Teile der Bevölkerung, diesmal Unternehmer und Manager, kurz: die Wirtschaft, nicht zu verunsichern, „wenn man jetzt mit überzogene Werten die falschen Signale in die Welt setzt“. Zugegeben – Gründe zur Verunsicherung sind durchaus gegeben – aber vor allem dann, wenn unsere Ziele nicht ehrgeizig genug sind und hinter den globalen Klimaveränderungen hinterherhinken.

#BlackLivesMatter

Natürlich ist es traurig, dass es überhaupt eines Hashtags wie #BlackLivesMatter bedarf! Der andere aber, #EveryLivesMatter, als Reaktion auf eben diesen Aufschrei gegen den alltäglichen Rassismus, ist einfach nur widerlich, denn er ist der Versuch der Täter, sich in die Reihen der Opfer zu stehlen und sie darin noch zu verhöhnen: Ihr seid (und bleibt) Opfer – also spielt euch gefälligst nicht in den Vordergrund!!

Schutz des Eigentums

Im Live-Blog der tagesschau vom 29.04.2020 wird um 17:43 Dominik H. Enste vom Institut der Deutschen Wirtschaft mit den Worten zitiert, einen ultimativen Schutz des Lebens gebe es nicht. Nun, das ist zweifellos eine Binsenweisheit, nicht nur und nicht erst, seit es den Kapitalismus gibt, in dem das Leben der anderen noch nie viel gegolten hat. Wenn aber nun das Recht auf körperliche Unversehrtheit relativiert, das Leben der Geborenen zumindest in seinem aktuellen Wert zur Disposition gestellt wird, um mit den Ansprüchen anderer Güter verrechnet zu werden, was bedeutet das für rein materielle Werte wie das Recht auf Eigentum? Das scheint ganz offensichtlich nicht zur Diskussion zu stehen, bleibt weiterhin ein Tabu. Dabei liegt auf den Konten des besagten einen Prozents genug, um das kommende Elend nach von Corona aufzufangen.

Eines können wir zweifelsfrei konstatieren: Dominik H. Enste hat die Wertorientierung des Kapitalismus auf den Punkt gebracht: Einen ultimativen Schutz des Lebens gibt es nicht – nicht in der Corona-Krise, nicht in der Klima-Krise, nicht in den prekären Lebensverhältnissen weder in Asien, noch in Afrika oder Lateinamerika und nicht einmal in den Ghettos westlicher Metropolen.

Widergänger der bürgerlichen Parteien

Faschistische und bürgerliche Parteien sind sich näher als letztere zuzugestehen bereit sind, denn beide bedienen seit jeher die gleichen Ängste, werden von den gleichen Interessen instrumentalisiert. Und weil die bürgerlichen Parteien diese Nähe beständig ignorieren, eher noch kleingeredet haben, weil sie nach dem Krieg zu keinem radikalen Schnitt bereit waren, weder ideologisch noch personell, weil sie nie Verantwortung übernommen haben für das, was sie in den 1920er Jahren möglich gemacht haben, bleibt der Faschismus der unsichtbare Widergänger der Bürgerlichen, stets bereit, erneut aus ihrem Schatten zu treten.

Grenzen des Sagbaren

Indem wir die Grenzen des Sagbaren verschieben, verschieben wir auch die Grenzen des Machbaren. Wer das Ressentiment gegen welche Minderheiten auch immer predigt, ist unmittelbar auch mitverantwortlich für Taten wie die in Christchurch, Halle oder in Hanau. Und darum spielt es auch kaum eine Rolle, ob die Tat von einer einzelnen Person oder einer Gruppe geplant und ausgeführt wurde, es spielt auch keine Rolle, in welcher psychischen Verfassung der oder die Täter waren – es handelt sich ein ums andere Mal um Manifestationen eines latenten Faschismus, der – nie ganz besiegt – überall dort um sich greift, wo Orientierungslosigkeit in Hass umschlägt.

Um so wichtiger ist es, all den Propagandisten des Ressentiments das Wort zu entziehen und sie aus dem Diskurs zu drängen. Der demokratische Diskurs ist grundsätzlich ein offener Diskurs, an seinen Rändern kann viel gesagt werden, was mit seinen Werten längst nicht mehr übereinstimmt. Aber es gibt eben auch manches, was man schlicht nicht sagen darf …

Zu kurz gegriffen

Die bestehende Diskussion um den Klimawandel droht, die Herausforderung, der wir uns stellen müssen, unzulässig zu verkürzen: Wir reden nur noch über Maßnahmen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs – dabei ist das nur ein Teil des Problems: die Müllberge, das Artensterben, die Vergiftung unserer Böden – kurz: die unfassbare Verschwendung noch jeder Ressource. Wir sind längst nicht aus dem Schneider, wenn wir ein Weg gefunden haben, freigewordenes CO2 wieder zu binden und zu lagern, wenn wir am Ende doch noch die längst überholt geglaubte Atomenergie wiederbeleben. Wir müssen radikal umdenken und unser Verhalten grundsätzlich ändern. Das aber rüttelt an den Fundamenten unseres Wirtschaftens: der Illusion endlosen Wachstums in einer Welt begrenzter Ressourcen.