Ein beliebter Einwand der Gegner(Innen) des Genderns ist der Verweis auf einen von einer imaginären Elite oder Institution aufoktruierten Zwang, der der Sprache, der dem individuellen Sprachgefühl Gewalt antue. Einmal mehr muss vordergründig die Freiheit herhalten, um Reflektion und Innovation zu maßregeln. Dieses Manöver ist so einfältig wie durchschaubar: Als obläge die Adaption sprachlicher Strukturen unserer freien Entscheidung, als sei das Denken voraussetzungslos und einzig Ausdruck eines freien Willens! Spätestens seit Whorf wissen wir um um den Zusammenhang von Sprache, Denken und Wirklichkeit. Wir werden in eine Sprache hineingeboren und adaptieren sie zunächst unreflektiert. Dass es dabei nicht bleibt, dass eine neue Wirklichkeit möglich wird, darum ringen all jene, die sich an den Potenzialen des Genderns abarbeiten.
Archiv für den Monat: November 2021
Prechtig oder …
Richard Davids Precht beklagt in der ZEIT vom 17.11.2021 die Intoleranz der Geimpften und beschwört eine vermeintlich antike Tugend, die „Selbstbeherrschtheit im Austeilen und Gelassenheit im Ertragen“. Si tacuisse … möchte man ihm entgegnen. Natürlich ist Toleranz ein konstitutives Moment jeder freiheitlichen Ordnung. Die Menschen mögen denken und glauben, wie es ihnen beliebt – solange dieser Glaube auf das Private beschränkt bleibt und nicht übergriffig wird. In einem pandemischen Geschehen bleibt die Frage, ob mensch sich impfen lässt oder nicht, aber keineswegs im Privaten, denn die Pandemie betrifft alle unmittelbar – lokal, regional und sogar global. Doch zurück zur Gelassenheit im Ertragen. Fordert er sie allen Ernstes von den Ärzten und Pflegern auf unseren Intensivstationen. Fordert er sie von all denen, die um ihr Leben fürchten müssen, weil dringend erforderliche Operationen ein ums andere Mal verschoben werden müssen, bis es vielleicht zu spät ist. Offensichtlich – hier aber stößt die Toleranz an ihre Grenze und sie einzuklagen bedeutet, die individuelle Befindlichkeit und den Egoismus bar jeder Verantwortung für die Anderen zum alleinigen Maßstab zu erheben. Übrigens endete für die Griechen Freiheit und Toleranz eben dort, wo die Polis in Gefahr geriet. Und dann waren sie unerbittlich!