Im Würgegriff der schwarzen Null

Es ist beruhigend, einen Finanzminister zu haben, der sich auch um künftige Generationen sorgt. Schon allein in ihrem Interesse, so betont er immer wieder, müssen wir die Schuldenbremse einhalten – koste es, was es wolle. Da dürfen die jungen Menschen aber beruhigt in die Zukunft blicken, denn sie wissen: Wenn die Klimakatastrophe erst einmal richtig über sie hereinbricht und kein Geld dieser Welt mehr die Schäden wird kompensieren können, sind sie doch wenigstens schuldenfrei!

Unsägliche Meinungsfreiheit

„Mein Herr, ich bin nicht Ihrer Meinung. Aber ich würde dafür sterben, dass Sie sie äußern dürfen“. Dieser Satz Voltaires wird immer wieder gerne bemüht, um eine vorgeblich unter die Räder des Mainstream geratenen Debattenkultur zu retten, aber wir dürfen nicht vergessen, aus welchen Zeiten diese Äußerung resultiert. Sie muss als Reaktion auf einen Diskurs verstanden werden, der durch den absoluten Souverän dominiert wurde und die Gedankenfreiheit wurde als Keim begriffen, der dereinst auch die des Handelns nach sich ziehen sollte. Dass wir heute das Problem haben, dass Meinungen nicht mehr hinreichend geäußert werden dürfen, scheint nicht das vordringliche Problem zu sein. Im Gegenteil: Die Agnotologie lehrt uns, dass vielleicht gerade das Gegenteil der Fall ist, dass die wesentlichen (wissenschaftlichen) Erkenntnisse in einer Flut der Halb und Unwahrheiten untergehen – ganz so, wie in den 1960er und 1970er Jahren die medizinischen Erkenntnisse über die Gefahren des Nikotins und des Tabaks systematisch durch ausgefeilte Desinformationskampagnen bekämpft worden sind. Im Zeitalter der Massenmedien bringt man die Wahrheit nicht mehr zum Schweigen, man ertränkt sie in einer Flut von Lügen und Halbwahrheiten.

Gendern vs. Freiheit?

Ein beliebter Einwand der Gegner(Innen) des Genderns ist der Verweis auf einen von einer imaginären Elite oder Institution aufoktruierten Zwang, der der Sprache, der dem individuellen Sprachgefühl Gewalt antue. Einmal mehr muss vordergründig die Freiheit herhalten, um Reflektion und Innovation zu maßregeln. Dieses Manöver ist so einfältig wie durchschaubar: Als obläge die Adaption sprachlicher Strukturen unserer freien Entscheidung, als sei das Denken voraussetzungslos und einzig Ausdruck eines freien Willens! Spätestens seit Whorf wissen wir um um den Zusammenhang von Sprache, Denken und Wirklichkeit. Wir werden in eine Sprache hineingeboren und adaptieren sie zunächst unreflektiert. Dass es dabei nicht bleibt, dass eine neue Wirklichkeit möglich wird, darum ringen all jene, die sich an den Potenzialen des Genderns abarbeiten.

Prechtig oder …

Richard Davids Precht beklagt in der ZEIT vom 17.11.2021 die Intoleranz der Geimpften und beschwört eine vermeintlich antike Tugend, die „Selbstbeherrschtheit im Austeilen und Gelassenheit im Ertragen“. Si tacuisse … möchte man ihm entgegnen. Natürlich ist Toleranz ein konstitutives Moment jeder freiheitlichen Ordnung. Die Menschen mögen denken und glauben, wie es ihnen beliebt – solange dieser Glaube auf das Private beschränkt bleibt und nicht übergriffig wird. In einem pandemischen Geschehen bleibt die Frage, ob mensch sich impfen lässt oder nicht, aber keineswegs im Privaten, denn die Pandemie betrifft alle unmittelbar – lokal, regional und sogar global. Doch zurück zur Gelassenheit im Ertragen. Fordert er sie allen Ernstes von den Ärzten und Pflegern auf unseren Intensivstationen. Fordert er sie von all denen, die um ihr Leben fürchten müssen, weil dringend erforderliche Operationen ein ums andere Mal verschoben werden müssen, bis es vielleicht zu spät ist. Offensichtlich – hier aber stößt die Toleranz an ihre Grenze und sie einzuklagen bedeutet, die individuelle Befindlichkeit und den Egoismus bar jeder Verantwortung für die Anderen zum alleinigen Maßstab zu erheben. Übrigens endete für die Griechen Freiheit und Toleranz eben dort, wo die Polis in Gefahr geriet. Und dann waren sie unerbittlich!

Dialektik der Identitätspolitik

Vielleicht auch als Gegenbewegung zur Globalisierung und der langen Geschichte der Diskriminierung zugleich lässt sich die Tendenz beobachten, identitätsstiftenden Merkmalen eine herausragende Bedeutung zu verleihen oder zurückzugeben. Man mag das auch als neues Selbstbewusstsein deuten, als Schritt, der aus einem ausschließenden Merkmal ein auszeichnendes macht. Doch man darf nie vergessen, dass diese Sichtweise impliziert, dass das einstmals Trennende als eben solches festgeschrieben wird, nur mit neuem Vorzeichen. Und dann verstetigt es nur, was es überwinden soll: die Diskriminierung.

Widergänger der bürgerlichen Parteien

Faschistische und bürgerliche Parteien sind sich näher als letztere zuzugestehen bereit sind, denn beide bedienen seit jeher die gleichen Ängste, werden von den gleichen Interessen instrumentalisiert. Und weil die bürgerlichen Parteien diese Nähe beständig ignorieren, eher noch kleingeredet haben, weil sie nach dem Krieg zu keinem radikalen Schnitt bereit waren, weder ideologisch noch personell, weil sie nie Verantwortung übernommen haben für das, was sie in den 1920er Jahren möglich gemacht haben, bleibt der Faschismus der unsichtbare Widergänger der Bürgerlichen, stets bereit, erneut aus ihrem Schatten zu treten.

Exzellenzpartner

Der Präsident der TU München verkündet stolz den Abschluss eines Rahmenvertrages mit dem neuen Exzellenzpartner Google, der finanzielle Mittel in Millionenhöhe verspricht. Und viele werden sich von dieser Geste blenden lassen, beeindruckt von den untadeligen Absichten eines Weltkonzerns, der den Forschungsstandort München an seinen wirtschaftlichen Erfolgen teilhaben lässt. Dabei vergisst man gerne, dass Google zu eben jenen Konzernen gehört, die Steuern für ein Instrument unrechtmäßiger staatlicher Bereicherung halten und diese darum konsequent und erfolgreich vermeiden, so dass sie nicht einmal angemessen an den Kosten etwa für Infrastruktur und Bildung partizipieren, die doch eigentlich Bedingung ihres wirtschaftlichen Erfolges sind. Das aber kann sich eine Gesellschaft nicht wirklich leisten! Wann endlich werden wir Unternehmen angemessen an der Finanzierung des Staatshaushaltes beteiligen, so dass wir unsere Universitäten wieder hinreichend selbst finanzieren und diese ihren Partnern endlich auch wieder auf Augenhöhe begegnen können. Übrigens: dann erst wird die Forschung auch nicht mehr im Verdacht stehen, in erster Linie doch nur die Interessen der Konzerne zu bedienen.

Geschichtsklitterung

Wer künftig die NS-Vernichtungslager auf polnischem Boden als „polnische Todeslager“ bezeichnet, riskiert eine dreijährige Haftstrafe. Den Vorwurf der Geschichtsklitterung liegt nahe, doch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki weist ihn entschieden zurück. Und natürlich waren diese Lager auf polnischem Boden keine polnischen Lager. Es waren die Vernichtungslager des NS-Staates, geplant, verwaltet und befehligt von deutschen Nazis – insofern also waren sie unzweifelhaft deutsche Vernichtungslager. Aber dann verrät Morawiecki sich doch, wenn er twittert: „Jews, Poles, and all victims should be guardians of the memory of all who were murdered by German Nazis.“ Genau da scheint sie durch, die Geschichtsverfälschung, die Polen von israelischer Seite vorgehalten wird. Es waren deutsche Lager – aber es waren Nazis unterschiedlichster Nationalitäten, die in den Lagern gemordet haben – und es waren Menschen unterschiedlichster Herkunft, die die Juden und politisch Verfolgten denunziert und an die SS ausgeliefert haben. Fast möchte man dies als sprachliche Ungenauigkeit durchgehen lassen – immerhin betont er in seinem Tweet die teuflische Rolle der Ideologie. Aber kann man ihm das wirklich abnehmen – angesichts der zutiefst konservativen und nationalistischen Wende in der polnischen Politik, die alles andere als entsetzt ist über all die Nazis, die da wieder aus ihren Löchern kriechen und all der Fackeln und Fahnen zum Trotz eben kein „schöner Anblick“ sind …

Fake News

Seit der amerikanischen Präsidentschaftswahl dominiert ein neues Phänomen den politischen Diskurs, das geeignet zu sein scheint, die Demokratie in ihren Grundfesten zu erschüttern, zumindest aber den aufrechten Demokraten den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben: die Fake News. Die Vehemenz des aktuellen Aufschreis, der sich durch alle Medien fortpflanzt, suggeriert, dass die Instrumentalisierung von Falschmeldungen im Wahlkampf, ja in der Politik ganz allgemein eine Erfindung der letzten ein, zwei Jahre sei. Was aber bitte soll an Falschmeldungen und ihrer Instrumentalisierung eigentlich neu sein? Als wären unseren Politikern, aber auch den Medien bisher nur Wahrheiten über die Lippen gekommen. Und als wäre die Verbreitung von Lügen der einzige Weg, um den Prozess demokratischer Meinungs- und Willensbildung zu manipulieren. Wenn dem so wäre, wozu dienen dann all die konservativen Think Tanks – nicht nur – in den USA, wo Strategien und Kampagnen entwickelt werden, die die öffentliche Meinung ganz im Interesse der wirtschaftlichen und politischen Eliten beeinflussen sollen und die auch schon mal eine Rufmord-Kampagne gegen Klimaforscher lostreten. Oder die Geheimdienste: Welche Aufgabe hatten denn die zahlreichen deutschen Journalisten im Dienste beispielsweise der CIA? Die Liste ließe sich schier endlos fortsetzen und all diese Beispiele unterscheiden sich nur durch eines: Früher nannte man das schlicht Propaganda.

Noch einmal: Mitte der Gesellschaft

Was meint eigentlich Mitte der Gesellschaft? Wo – bitte – soll das sein? Anders: Wer definiert diesen Ort? Nur so viel: um so mehr Menschen den rechten Bauernfängern erliegen, um so weiter driftet auch die Mitte nach rechts. So lag diese Mitte spätesten Ende der 30er Jahre irgendwo im Spektrum der NSDAP. Wenn Politiker aber den Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus, gegen all diese braunen Parolen Ernst meinen, dann müssen sie sich auf demokratische und soziale Werte beziehen. Wer allzu sehr nur auf die Mitte, diesen Nichtort fixiert bleibt, versinkt am Ende noch im braunen Sumpf.