Unsägliche Meinungsfreiheit

„Mein Herr, ich bin nicht Ihrer Meinung. Aber ich würde dafür sterben, dass Sie sie äußern dürfen“. Dieser Satz Voltaires wird immer wieder gerne bemüht, um eine vorgeblich unter die Räder des Mainstream geratenen Debattenkultur zu retten, aber wir dürfen nicht vergessen, aus welchen Zeiten diese Äußerung resultiert. Sie muss als Reaktion auf einen Diskurs verstanden werden, der durch den absoluten Souverän dominiert wurde und die Gedankenfreiheit wurde als Keim begriffen, der dereinst auch die des Handelns nach sich ziehen sollte. Dass wir heute das Problem haben, dass Meinungen nicht mehr hinreichend geäußert werden dürfen, scheint nicht das vordringliche Problem zu sein. Im Gegenteil: Die Agnotologie lehrt uns, dass vielleicht gerade das Gegenteil der Fall ist, dass die wesentlichen (wissenschaftlichen) Erkenntnisse in einer Flut der Halb und Unwahrheiten untergehen – ganz so, wie in den 1960er und 1970er Jahren die medizinischen Erkenntnisse über die Gefahren des Nikotins und des Tabaks systematisch durch ausgefeilte Desinformationskampagnen bekämpft worden sind. Im Zeitalter der Massenmedien bringt man die Wahrheit nicht mehr zum Schweigen, man ertränkt sie in einer Flut von Lügen und Halbwahrheiten.

Mediale Inszenierung

Natürlich ist das Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt ein tragisches Ereignis – so, wie alle Ereignisse tragisch sind, bei denen Menschen zu Schaden kommen, gar ihr Leben verlieren. Dieses Ereignis hat aber noch etwas zu Tage gefördert: Es gibt tragische Ereignisse, die geschehen fast unbemerkt und hinterlassen kaum oder gar keine Spuren – und es gibt solche, die zu einer Tragödie werden, weil sich die Medien ihrer bemächtigen und zu einer würdelosen Inszenierung machen. Kaum geschehen, schon feuerten die Medien auf (fast) allen Kanälen und verbreiteten eigentlich nur eines: Es gab Opfer – mehr weiß man aber eigentlich nicht. Und dieses Nichtwissen wurden stundenlang ausgebreitet, von immer neuen „Fachleuten“ bestätigt und wieder und wieder durchbuchstabiert! Und eben so wurde aus einer Nachricht eine – zutiefst unangemessene – Inszenierung. Eine Inszenierung, die in gewissem Sinne gar die Opfer all der anderen – ungehörten – tragischen Ereignisse verhöhnt! Zugleich haben wir einmal mehr das Gefühl, in höchst unsicheren Zeiten zu leben – geradezu „kontrafaktisch“, wie der Philosoph Michel Serres in seinem jüngsten Buch zu zeigen versucht!