Altersarmut – kaum Schicksal, eher Kalkül?

Das System der Altersversorgung rückt dank besorgter Experten, die ein rapides Ansteigen der Altersarmut in den kommenden 15 Jahren befürchten, einmal mehr in den Mittelpunkt der politischen Diskussion. Hatte man vor gerade einmal 15 Jahren nach einem Weg gesucht, die Arbeitgeber aus der Verantwortung für die Altersvorsorge zumindest teilweise zu entlassen und den Arbeitnehmern diverse private Modelle schmackhaft gemacht, damit sie die Bürde der Zukunftssicherung fortan zunehmend alleine schultern, stellen die Fachleute plötzlich zu ihrem Entsetzen fest, dass die damaligen Renditeversprechen aus heutiger Sicht kaum mehr als hohle Phrasen gewesen sind, die eigentlich nur den Banken genutzt haben und die sich damit – recht betrachtet – schlicht als Lügen entpuppen. Als Schuldige werden heute allerdings nicht die Politiker und Finanzhaie z. B. der Hannoveraner Connection identifiziert, sondern vielmehr die Europäische Zentralbank und ihre Zinspolitik, die die phantasievollen Finanzprodukte zum Flop werden lassen.
Nun also ist das Gezeter und Gejammer wieder einmal groß. Dabei werden auch die neuen Konzepte allenfalls billige Flickschusterei bleiben, weil das System der bundesrepublikanischen Altersversorgung an zwei prinzipiellen Webfehlern leidet, die eine nachhaltige Reform konterkarieren. Der erste strukturelle Fehler ist die Tatsache, dass die Altersvorsorge exklusiv an den Faktor Arbeit gekoppelt bleibt und damit unmittelbar von der Entwicklung des Arbeitsmarktes abhängt. Die aber geht dank neuer Technologien nicht zwangsläufig synchron mit der wirtschaftlichen Entwicklung. In dem Maße, in dem – wie wir es seit nunmehr 30 Jahren beobachten können – die Entwicklung der Löhne und durchschnittlichen Einkommen von der Produktivitätsentwicklung abgekoppelt wird, gerät das System unter Druck und kann eine hinreichende, geschweige denn angemessene Versorgung aller Menschen im Alter nicht mehr garantieren. Die wachsende Kluft in der Vermögensverteilung bestätigt diesen Ansatz. Verstärkt wird diese Tendenz dann auch noch durch den zweiten strukturellen Webfehler: Dass ein nicht unerheblicher Anteil der (arbeitenden) Bevölkerung ganz oder teilweise von einem angemessenen Beitrag zum Solidargefüge befreit ist, nämlich die Beamten und die Selbstständigen, vor allem aber die höheren Einkommen. So wachsen diese höheren Einkommen weit überproportional, ohne dass dieses Wachstum auch dem System der Altersversorgung zu Gute käme. Würden alle in Deutschland erzielten Einkommen proportional zur Finanzierung der Sozialausgaben herangezogen – das Gespenst der Altersarmut würde sich unmittelbar in Luft auflösen. Solange unsere Politiker allerdings nicht bereit sind, diese beiden strukturellen Defizite der Sozialsysteme zu beheben, solange ist ihr Geschwätz schlicht obsolet und nicht mehr als Irreführung des Wahlvolks! Es mag sein, dass die Politik in diesen Punkten keinen Straftatbestand erfüllt – doch sie bleibt schlicht Betrug! Oder anders: Es mag sein, dass der ein oder andere Experte und Politiker nach bestem Wissen und Gewissen handelt – der großen Mehrheit müssen wir unterstellen, dass sie vorsätzlich handelt – denn sie gehören zu den Nutznießern dieser groß angelegten Täuschung der Bürger.

Noch einmal: Mitte der Gesellschaft

Was meint eigentlich Mitte der Gesellschaft? Wo – bitte – soll das sein? Anders: Wer definiert diesen Ort? Nur so viel: um so mehr Menschen den rechten Bauernfängern erliegen, um so weiter driftet auch die Mitte nach rechts. So lag diese Mitte spätesten Ende der 30er Jahre irgendwo im Spektrum der NSDAP. Wenn Politiker aber den Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus, gegen all diese braunen Parolen Ernst meinen, dann müssen sie sich auf demokratische und soziale Werte beziehen. Wer allzu sehr nur auf die Mitte, diesen Nichtort fixiert bleibt, versinkt am Ende noch im braunen Sumpf.

Klassenkrieg

Hätte das ein Linker, am Ende gar ein Linksradikaler gesagt, man hätte ihn verteufelt und als Demagogen denunziert – aber so?

There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.” (Warren E. Buffet, The New York Times,  26.11.2006)

Nachtrag: Besonders in Lateinamerika kann man – nicht zum ersten Mal – beobachten, dass der Begriff Krieg nicht nur metaphorisch gemeint ist …

Der Blick zurück verstellt den Blick nach vorn

Ungarn ist ein gutes Beispiel für das, was gerade in Europa – aber nicht nur dort – passiert: Natürlich verändert sich die Welt in einem rasanten Tempo, hat man schnell das Gefühl, dass die Gegenwart fremd und die Zukunft gänzlich unverständlich und um so bedrohlicher erscheint. Der Wandel macht Angst – und dieser Angst versuchen viele Menschen Herr zu werden, indem sie sich verzweifelt an die Vergangenheit klammern. Nüchtern betrachtet ist die Inszenierung anlässlich des Nationalfeiertags, die doch sehr an einen Rosenmontagszug erinnert, schlicht lächerlich. Sie mag Balsam für die geschundene Seelen sein, zukunftsweisend ist sie wahrlich nicht. Wenn das die Strategie zur Zukunftsbewältigung ist – Ungarn stehen schwere Zeiten bevor! Und auch allen anderen, die mit dieser rückwärtsgewandten Sehnsucht die Herausforderungen der Zukunft meistern wollen. Nehmen wir die vermeintliche Flüchtlingskrise:Noch kommen – nur – ein paar Millionen, weil sie hier den Frieden und das Auskommen erhoffen, die es in ihrer Heimat nicht mehr gibt. Angesichts der europäischen Bevölkerungszahlen und unseres zwar nicht gerecht verteilten, aber doch vorhandenen Reichtums eigentlich keine wirkliche Herausforderung. Die wird uns erst ereilen, wenn die Klimaflüchtlinge kommen – sei es weil sie kein Land mehr haben, sei es, dass es ihnen an Nahrungsmitteln und Wasser mangelt. Und diese Menschen – diese Menschen werden keine Zäune, keine Meere nicht einmal Waffen abschrecken, denn für sie wird es einfach kein Zurück mehr geben.

Einmischung in die inneren Angelegenheiten

Bisher war dies die Floskel, mit der vor allem Diktaturen jegliche Kritik an undemokratischen Verhältnissen, insbesondere aber an undemokratischem Regierungshandeln zurückgewiesen haben. Ganz gleich ob Künstler, Journalisten oder Oppositionelle verfolgt und verhaftet werden oder gleich ganz verschwinden – eine Diktatur verbittet sich die Einmischung in die inneren Angelegenheiten und unterstreicht damit zugleich, wie berechtigt die Kritik letztlich ist. Nun hat sich der russische Außenminister Sergej Lawrow lautstark  im Falle der Berliner 13-Jährigen zu Wort gemeldet, woraufhin Frank-Walter Steinmeier nichts besseres zu tun hat, als die Anwürfe seines russischen Amtskollegen vehement und eben mit dem Hinweis der Einmischung in innere Angelegenheiten zurückzuweisen. Na wunderbar – da befinden wir uns ja mal in bester Gesellschaft. Naja, und etwas Zurückhaltung üben sollten wir auch, wenn uns wieder mal jemand die Einmischung in innere Angelegenheiten vorhält.

Willkommen in der Mitte der Gesellschaft

Seit sich die Ereignisse in Folge der steigenden Flüchtlingszahlen verschärfen, betonen immer mehr Politiker und Journalisten, dass die lautstarken bis handgreiflichen Proteste gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen nicht nur von einigen wenigen Verwirrten am rechten Rande der Gesellschaft getragen werden, sondern auch mehr und mehr von Menschen „aus der Mitte der Gesellschaft“. Was aber soll das eigentlich heißen? Was oder wo soll diese Mitte der Gesellschaft sein?

Wenn wir diese Mitte der Gesellschaft nicht genauer verorten können – was bezwecken Politik und Medien mit diesem Hinweis? Die Mitte der Gesellschaft – sie soll als Inbegriff des Vernünftigen und Guten verstanden werden, als Fluchtpunkt des demokratischen Konsenses – da sich nicht nur rechts und sondern glücklicherweise auch links diskreditiert haben. Wenn aber nunmehr Menschen, die vermeintlich dieser Mitte entstammen, übergriffig werden, dann meint der Hinweis auf die Mitte der Gesellschaft genau dieses: Seht her, wie sehr eure (natürlich falsche) Politik die Menschen zur Verzweiflung treibt und welches Ausmaß die (natürlich berechtigten) Ängste dieser harmlosen Bürger inzwischen angenommen haben. Wer will da noch widersprechen?

Dieser Hinweis bewirkt also vor allem eines: Dass die Auseinandersetzung über unsere gemeinsamen Werte sich erübrigt, in deren Verlauf wir vielleicht feststellen müssten, dass die Mehrheit sich gerade von den zentralen Werten verabschieden – so, wie es bei unseren östlichen Nachbarn längst geschehen ist.

Wie beängstigend diese Mitte längst ist, zeigen nicht nur, aber eben auch die selbsternannten Bürgerwehren, die sich plötzlich überall zusammenrotten, weil das staatliche Gewaltmonopol angeblich versagt hat. Vor wem aber wollen Sie uns schützen, diese braven Bürger? Vor den zahlreichen Brandstiftern, die den Flüchtlingen sagen wollen, dass sie sich hier nicht in Sicherheit wiegen sollen? Vor dem rechten Mob, der seit Jahren bereits nachts Jagd macht auf vermeintlich Fremde. Vor sexistischen Übergriffen wie von diesen Pick-Up-Artists, die glauben, Mann könne aus einer frauenverachtenden Haltung oder psychischen Störungen eine Kunst machen? Vor all den anderen Sexualstraftätern, die seit Jahr und Tag ihr Unwesen treiben und – ja genau – allesamt aus der Mitte unserer Gesellschaft stammen, wie die Opfer in den Internaten und Kinderheimen bezeugen können. Nun, die neuen Bürgerwehren werden diesen Gefahren, denen wir bereits seit Jahrzehnten ausgesetzt sind, wohl eher keine Aufmerksamkeit schenken. Sie halten Ausschau nach dem Anderen, das ihre Vorurteile bestätigt und niedere Instinkte nährt. Insofern dürfen wir all den Kriminellen und Verstörten aus anderen Ländern, die natürlich auch den Weg zu uns finden, vielleicht schon bald zurufen: Willkommen in der Mitte der Gesellschaft!

Der Krieg der Kriege

Die Welt ist gezeichnet von einer Vielzahl lokaler, aber auch globaler Kriege und Konflikte, doch dem Offensichtlichen zum Trotz ist es tatsächlich nur eine Frontlinie – und die verläuft nicht zwischen Christentum und Islam oder anderen Heilsgeschichten, wie es uns die zahlreichen Fanatiker glauben machen wollen; nicht zwischen Orient und Okzident, zwischen Ost und West oder Nord und Süd, wie es uns die Ideologen dieser Welt so gerne erzählen; es ist nicht einmal die zwischen Schwarz und Weiß und all den zahlreichen Schattierungen, wie es uns die Rassisten dieser Welt weiß machen wollen; es ist auch nicht die zwischen Jung und Alt, wie es unsere Politiker immer wieder gerne behaupten, wenn mal wieder von der ungleichen Verteilung der Reichtümer abgelenkt werden muss; und es ist schon gar nicht die zwischen Männern und Frauen, die heutzutage als Inbegfriff der Political Correctness nahezu jeden Diskurs dominiert.

Nein – sie alle lenken nur vom eigentlichen Widerspruch ab, von eben dieser einen Front, von diesem einen Krieg, dem Krieg zwischen Reich und Arm in seinen immer gleichen und doch auch wieder immer neuen Erscheinungsformen. Und warum nicht der Krieg der Armen gegen die Reichen? Nun, Die Armen brauchen die Reichen nicht – sie sind einzig an einer anderen Verteilung dieses unbe­schreib­lichen Überflusses interessiert, der im Laufe der Geschichte von einigen Wenigen zusammen­gerafft wurde. Die Reichen hingegen bedürfen all der Armen, die – nur selten feiwillig – alles geben, die nicht selten mit ihrem Schweiß, ihrem Blut und ihren Tränen das Wohl der Shareholder bedienen, und sie bedürfen auch der weniger Armen, die noch jeden Cent in den Konsum all der Produkte stecken, die allein dieses eine Bedürfnis der Reichen nach immer mehr befriedigen.

In guter Gesellschaft

Es scheint, als sei der hässliche Deutsche doch nur eine verschwindende Minderheit im Land. Dafür gesellen sich andere an seine Seite: allen voran der hässliche Ungar, gefolgt vom hässlichen Polen, dem hässlichen Tschechen und dem hässlichen Slowaken. Der Auftritt ihrer politischen Führung in Prag hinterlässt jedenfalls einen äußerst faden Geschmack, haben diese Länder bisher doch nicht wenig von der Solidarität der Europäer profitiert. Da ihnen aber die Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen so fremd ist – ganz gleich, ob diese der nackte Gewalt oder dam blanken Elend weichen –, werden sie bestimmt so konsequent sein und künftig keine weiteren Hilfen der EU mehr in Anspruch nehmen. Die könnte die EU dann den vertriebenen Menschen zur Verfügung stellen.

Nachtrag: Zugegeben – es ist schlicht Fassungslosigkeit, besser: Empörung, die hier zum Ausdruck kommt. Aber natürlich ist Europa reich genug, um den notleidenden Menschen helfen zu können, ohne anderen gleich die Unterstützung streitig machen zu müssen. Es fehlt allenfalls der politische Wille, um eben jene in die Pflicht zu nehmen, die an dem Elend in der Welt bisher mehr als gut verdient haben …