Wie viel Reichtum können wir uns noch leisten?

Wie viel Reichtum können wir uns noch leisten? Dass das Vermögen des reichsten Prozents der Weltbevölkerung auch in den Krisenzeiten beständig wächst, ist kein Geheimnis. Aktuell brisanter ist die Tatsache, dass eben dieses eine Prozent für mehr als doppelt so viel CO2 verantwortlich ist wie die ärmere Hälfte der Menschheit.1 Man mag das Skandal nennen – aber das trifft den Kern noch nicht: Wenn es um das Klima und die Einsparung von CO2-Emissionen geht, dürfen wir sicher sein, das diese ärmere Hälfte wohl kaum dazu beitragen kann. Die Zahl lässt aber ahnen, dass es vielleicht nicht einmal reicht, wenn das Gros der anderen Hälfte seinen Konsum und damit seinen CO2-Ausstoß deutlich drosselt – das besagte Prozent wird die Einsparungen schon zu kompensieren wissen. Insofern muss die oben gestellte Frage korrigiert werden: Nicht wie viel Reichtum ist die Frage als vielmehr: Wie viele Reiche kann sich dieser Planet noch leisten?

1 Vgl. Von König Midas lernen, taz-Kolumne von Ilija Trojanow, 14.10.2020 – https://taz.de/Die-Verantwortung-von-Superreichen/!5717517&s=trojanow/

Altersarmut – kaum Schicksal, eher Kalkül?

Das System der Altersversorgung rückt dank besorgter Experten, die ein rapides Ansteigen der Altersarmut in den kommenden 15 Jahren befürchten, einmal mehr in den Mittelpunkt der politischen Diskussion. Hatte man vor gerade einmal 15 Jahren nach einem Weg gesucht, die Arbeitgeber aus der Verantwortung für die Altersvorsorge zumindest teilweise zu entlassen und den Arbeitnehmern diverse private Modelle schmackhaft gemacht, damit sie die Bürde der Zukunftssicherung fortan zunehmend alleine schultern, stellen die Fachleute plötzlich zu ihrem Entsetzen fest, dass die damaligen Renditeversprechen aus heutiger Sicht kaum mehr als hohle Phrasen gewesen sind, die eigentlich nur den Banken genutzt haben und die sich damit – recht betrachtet – schlicht als Lügen entpuppen. Als Schuldige werden heute allerdings nicht die Politiker und Finanzhaie z. B. der Hannoveraner Connection identifiziert, sondern vielmehr die Europäische Zentralbank und ihre Zinspolitik, die die phantasievollen Finanzprodukte zum Flop werden lassen.
Nun also ist das Gezeter und Gejammer wieder einmal groß. Dabei werden auch die neuen Konzepte allenfalls billige Flickschusterei bleiben, weil das System der bundesrepublikanischen Altersversorgung an zwei prinzipiellen Webfehlern leidet, die eine nachhaltige Reform konterkarieren. Der erste strukturelle Fehler ist die Tatsache, dass die Altersvorsorge exklusiv an den Faktor Arbeit gekoppelt bleibt und damit unmittelbar von der Entwicklung des Arbeitsmarktes abhängt. Die aber geht dank neuer Technologien nicht zwangsläufig synchron mit der wirtschaftlichen Entwicklung. In dem Maße, in dem – wie wir es seit nunmehr 30 Jahren beobachten können – die Entwicklung der Löhne und durchschnittlichen Einkommen von der Produktivitätsentwicklung abgekoppelt wird, gerät das System unter Druck und kann eine hinreichende, geschweige denn angemessene Versorgung aller Menschen im Alter nicht mehr garantieren. Die wachsende Kluft in der Vermögensverteilung bestätigt diesen Ansatz. Verstärkt wird diese Tendenz dann auch noch durch den zweiten strukturellen Webfehler: Dass ein nicht unerheblicher Anteil der (arbeitenden) Bevölkerung ganz oder teilweise von einem angemessenen Beitrag zum Solidargefüge befreit ist, nämlich die Beamten und die Selbstständigen, vor allem aber die höheren Einkommen. So wachsen diese höheren Einkommen weit überproportional, ohne dass dieses Wachstum auch dem System der Altersversorgung zu Gute käme. Würden alle in Deutschland erzielten Einkommen proportional zur Finanzierung der Sozialausgaben herangezogen – das Gespenst der Altersarmut würde sich unmittelbar in Luft auflösen. Solange unsere Politiker allerdings nicht bereit sind, diese beiden strukturellen Defizite der Sozialsysteme zu beheben, solange ist ihr Geschwätz schlicht obsolet und nicht mehr als Irreführung des Wahlvolks! Es mag sein, dass die Politik in diesen Punkten keinen Straftatbestand erfüllt – doch sie bleibt schlicht Betrug! Oder anders: Es mag sein, dass der ein oder andere Experte und Politiker nach bestem Wissen und Gewissen handelt – der großen Mehrheit müssen wir unterstellen, dass sie vorsätzlich handelt – denn sie gehören zu den Nutznießern dieser groß angelegten Täuschung der Bürger.

Der Krieg der Kriege

Die Welt ist gezeichnet von einer Vielzahl lokaler, aber auch globaler Kriege und Konflikte, doch dem Offensichtlichen zum Trotz ist es tatsächlich nur eine Frontlinie – und die verläuft nicht zwischen Christentum und Islam oder anderen Heilsgeschichten, wie es uns die zahlreichen Fanatiker glauben machen wollen; nicht zwischen Orient und Okzident, zwischen Ost und West oder Nord und Süd, wie es uns die Ideologen dieser Welt so gerne erzählen; es ist nicht einmal die zwischen Schwarz und Weiß und all den zahlreichen Schattierungen, wie es uns die Rassisten dieser Welt weiß machen wollen; es ist auch nicht die zwischen Jung und Alt, wie es unsere Politiker immer wieder gerne behaupten, wenn mal wieder von der ungleichen Verteilung der Reichtümer abgelenkt werden muss; und es ist schon gar nicht die zwischen Männern und Frauen, die heutzutage als Inbegfriff der Political Correctness nahezu jeden Diskurs dominiert.

Nein – sie alle lenken nur vom eigentlichen Widerspruch ab, von eben dieser einen Front, von diesem einen Krieg, dem Krieg zwischen Reich und Arm in seinen immer gleichen und doch auch wieder immer neuen Erscheinungsformen. Und warum nicht der Krieg der Armen gegen die Reichen? Nun, Die Armen brauchen die Reichen nicht – sie sind einzig an einer anderen Verteilung dieses unbe­schreib­lichen Überflusses interessiert, der im Laufe der Geschichte von einigen Wenigen zusammen­gerafft wurde. Die Reichen hingegen bedürfen all der Armen, die – nur selten feiwillig – alles geben, die nicht selten mit ihrem Schweiß, ihrem Blut und ihren Tränen das Wohl der Shareholder bedienen, und sie bedürfen auch der weniger Armen, die noch jeden Cent in den Konsum all der Produkte stecken, die allein dieses eine Bedürfnis der Reichen nach immer mehr befriedigen.

Schwindende Mittelschicht

Die Wissenschaft hat festgestellt: Die Mittelschicht (ver)schwindet – trotz der anhaltend guter wirtschaftlicher Entwicklung. Und prompt zeigen sich alle zutiefst überrascht. Dabei kann es allenfalls jene überraschen, die vorbehaltlos der Ideologie des Neoliberalismus huldigen. Wenn selbst ein wirtschaftlicher Aufschwung nicht mehr zu einer wirtschaftlichen Stabilisierung der breiten Mehrheit beitragen kann – ja lügen denn dann am Ende die neoliberalen Ideologen und mit ihnen eine ganze Horde selbsternannter (Wirtschafts-)Weiser? Führt das uneingeschränkt eigennützige Streben Einzelner also doch nicht zum größtmöglichen Wohle aller, sondern eben nur dem einiger weniger. Und wenn die Menschen das am Ende auch noch merken! Aber dafür haben wir ja Heidenau …

Hässliche Deutsche

Die hässlichen Deutschen kriechen wieder aus ihren Löchern und machen die Straßen unsicher. Und – welch Überraschung – es ist gar nicht nur der braune Mob, es sind ganz normale Menschen, sogar „Frauen mit Kinderwagen und Kinder“ (WAZ, 24.08.2015). Als ob die hässliche Fratze des Wen-auch-immer-Hasses nur die Gesichter einer braunen Minderheit entstellen könnte – das wissen wir doch wahrlich besser! Währenddessen lacht sich das neoliberale Gesindel ins Fäustchen: Solange die Menschen voller Wut auf das Fremde starren, fragen sie nicht, wer sich eigentlich die ganzen Vermögenszuwächse der letzten Jahrzehnte unter den Nagel reißt.

Neoliberale Emphatie

Kansas macht vor, was Neoliberale unter sozialer Verantwortung verstehen – die schlichte und zeitlich eng begrenzte Sicherung der nakten Existenz – ohne jeden Tand und scheinbaren Luxus (siehe Telepolis). Von der Hilfe für bedürftige Familien (TANF) dürfen künftig keinerlei Genussmittel (Tabak, Alkohol etc.) und Vergnügungen (Sportveranstaltungen, Kultur u.ä.) mehr bezahlt werden. Im ersten Moment ist man sprachlos, aber es ist konsequent – wenn das wirtschaftliche Wachstum die Gier der selbsternannten Eliten nicht mehr zu befriedigen vermag, muss man halt dafür Sorge tragen, dass nicht mehr so viel Geld in den unteren sozialen Schichten versickert. Und dann versteht man auch, warum in Kansas der Waffenbesitz weiter liberalisiert wurde: Bei den Opfern der ungezählten Schusswaffen handelt es sich überwiegend um sozial Benachteiligte – und es gilt offensichtlich, aber unausgesprochen die Devise: Nur ein toter Bedürftiger ist ein guter Bedürftiger .

Das Geheimnis wirtschaftlichen Erfolges

Natürlich glauben wir längst nicht mehr, dass der Reichtum des Adels auf der gottgegebenen Ordnung des Kosmos und dem Privileg des Blutes beruht statt auf Knechtschaft, Sklaverei und Willkür. Und es gehört schon eine gehörige Portion Naivität dazu, zu glauben, dass der Reichtum des Bürgertums im Wesentlichen auf Fleiß und ehrbarer Arbeit beruht statt auf Unterdrückung, noch mehr (Lohn-)Sklaverei und der hemmungslosen Ausbeutung aller verfügbaren Ressourcen? Warum aber sollten wir dann glauben, dass wirtschaftlicher Erfolg sich heute allein innovativem Geist und kaufmännischer Tugend verdanken statt – wie schon zuvor – sozialer Asymmetrie, anhaltender (Lohn-)Sklaverei und der noch hemmungsloseren Ausbeutung aller verfügbaren Ressourcen – ganz zu schweigen von Lug und Trug und Rücksichtslosigkeit als Geschäftsmodell? Was genau – bitte – soll sich geändert haben?

Die verfolgten Reichen

Florian Rötzer berichtet am 30.01.2014 im Online-Magazin Teleopolis über einen Brief Tom Perkins an das Wallstreetjournal, in dem er in den USA einen „wachsenden Hass auf die erfolgreichen 1 Prozent“ beklagt. Im Folgenden ist sich Perkins nicht zu schade, Analogien zur Reichskristallnacht und der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten zu bemühen. Das einzige jedoch, was er darin zum Ausdruck bringt, ist der offensichtliche Mangel am Verständnis historischer Zusammenhänge. Die Parallele ist nicht so sehr Nazideutschland als vielmehr das Frankreich Ludwig des XVI. Insofern mag Perkins Angst durchaus berechtigt sein. (01. Februar 2014)

Akkumulation

Bisher hat noch nahezu jedes Herrschaftsverhältnis früher oder später zu einer steigenden Konzentration der gesellschaftlichen Reichtümer in den Händen Weniger geführt. Und bisher hat diese Akkumulation noch in jeder Kultur bzw. jeder Gesellschaftsform einen Punkt erreicht, an dem auch die stärksten sozialen Bindungskräfte versagten und und die Verhältnisse – leider allzuoft in einem Blutbad – neu geordnet wurden. Es gehört schon eine gehörige Portion Naivität gepaart mit einem simplen Geist dazu, um glauben zu machen, der Kapitalismus sei vor einer solchen Entwicklung gefeit. Weil er ein Höchstmaß an Hegemonie erreicht hat? Weil er über eine ungeahnte Machtfülle und unerschöpfliche Ressourcen verfügt? Weil er einfach auf ein hochtechnisiertes Gewaltmonopol zurückzugreifen vermag? Die zahlreichen gewaltsam ausgetragenen Konflikte in aller Welt lassen deutlich werden, dass wir uns diesbezüglich keine Illusionen machen sollten. (01. Februar 2014)