Willkommen in der Mitte der Gesellschaft

Seit sich die Ereignisse in Folge der steigenden Flüchtlingszahlen verschärfen, betonen immer mehr Politiker und Journalisten, dass die lautstarken bis handgreiflichen Proteste gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen nicht nur von einigen wenigen Verwirrten am rechten Rande der Gesellschaft getragen werden, sondern auch mehr und mehr von Menschen „aus der Mitte der Gesellschaft“. Was aber soll das eigentlich heißen? Was oder wo soll diese Mitte der Gesellschaft sein?

Wenn wir diese Mitte der Gesellschaft nicht genauer verorten können – was bezwecken Politik und Medien mit diesem Hinweis? Die Mitte der Gesellschaft – sie soll als Inbegriff des Vernünftigen und Guten verstanden werden, als Fluchtpunkt des demokratischen Konsenses – da sich nicht nur rechts und sondern glücklicherweise auch links diskreditiert haben. Wenn aber nunmehr Menschen, die vermeintlich dieser Mitte entstammen, übergriffig werden, dann meint der Hinweis auf die Mitte der Gesellschaft genau dieses: Seht her, wie sehr eure (natürlich falsche) Politik die Menschen zur Verzweiflung treibt und welches Ausmaß die (natürlich berechtigten) Ängste dieser harmlosen Bürger inzwischen angenommen haben. Wer will da noch widersprechen?

Dieser Hinweis bewirkt also vor allem eines: Dass die Auseinandersetzung über unsere gemeinsamen Werte sich erübrigt, in deren Verlauf wir vielleicht feststellen müssten, dass die Mehrheit sich gerade von den zentralen Werten verabschieden – so, wie es bei unseren östlichen Nachbarn längst geschehen ist.

Wie beängstigend diese Mitte längst ist, zeigen nicht nur, aber eben auch die selbsternannten Bürgerwehren, die sich plötzlich überall zusammenrotten, weil das staatliche Gewaltmonopol angeblich versagt hat. Vor wem aber wollen Sie uns schützen, diese braven Bürger? Vor den zahlreichen Brandstiftern, die den Flüchtlingen sagen wollen, dass sie sich hier nicht in Sicherheit wiegen sollen? Vor dem rechten Mob, der seit Jahren bereits nachts Jagd macht auf vermeintlich Fremde. Vor sexistischen Übergriffen wie von diesen Pick-Up-Artists, die glauben, Mann könne aus einer frauenverachtenden Haltung oder psychischen Störungen eine Kunst machen? Vor all den anderen Sexualstraftätern, die seit Jahr und Tag ihr Unwesen treiben und – ja genau – allesamt aus der Mitte unserer Gesellschaft stammen, wie die Opfer in den Internaten und Kinderheimen bezeugen können. Nun, die neuen Bürgerwehren werden diesen Gefahren, denen wir bereits seit Jahrzehnten ausgesetzt sind, wohl eher keine Aufmerksamkeit schenken. Sie halten Ausschau nach dem Anderen, das ihre Vorurteile bestätigt und niedere Instinkte nährt. Insofern dürfen wir all den Kriminellen und Verstörten aus anderen Ländern, die natürlich auch den Weg zu uns finden, vielleicht schon bald zurufen: Willkommen in der Mitte der Gesellschaft!

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