Widergänger der bürgerlichen Parteien

Faschistische und bürgerliche Parteien sind sich näher als letztere zuzugestehen bereit sind, denn beide bedienen seit jeher die gleichen Ängste, werden von den gleichen Interessen instrumentalisiert. Und weil die bürgerlichen Parteien diese Nähe beständig ignorieren, eher noch kleingeredet haben, weil sie nach dem Krieg zu keinem radikalen Schnitt bereit waren, weder ideologisch noch personell, weil sie nie Verantwortung übernommen haben für das, was sie in den 1920er Jahren möglich gemacht haben, bleibt der Faschismus der unsichtbare Widergänger der Bürgerlichen, stets bereit, erneut aus ihrem Schatten zu treten.

Grenzen des Sagbaren

Indem wir die Grenzen des Sagbaren verschieben, verschieben wir auch die Grenzen des Machbaren. Wer das Ressentiment gegen welche Minderheiten auch immer predigt, ist unmittelbar auch mitverantwortlich für Taten wie die in Christchurch, Halle oder in Hanau. Und darum spielt es auch kaum eine Rolle, ob die Tat von einer einzelnen Person oder einer Gruppe geplant und ausgeführt wurde, es spielt auch keine Rolle, in welcher psychischen Verfassung der oder die Täter waren – es handelt sich ein ums andere Mal um Manifestationen eines latenten Faschismus, der – nie ganz besiegt – überall dort um sich greift, wo Orientierungslosigkeit in Hass umschlägt.

Um so wichtiger ist es, all den Propagandisten des Ressentiments das Wort zu entziehen und sie aus dem Diskurs zu drängen. Der demokratische Diskurs ist grundsätzlich ein offener Diskurs, an seinen Rändern kann viel gesagt werden, was mit seinen Werten längst nicht mehr übereinstimmt. Aber es gibt eben auch manches, was man schlicht nicht sagen darf …

Zu kurz gegriffen

Die bestehende Diskussion um den Klimawandel droht, die Herausforderung, der wir uns stellen müssen, unzulässig zu verkürzen: Wir reden nur noch über Maßnahmen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs – dabei ist das nur ein Teil des Problems: die Müllberge, das Artensterben, die Vergiftung unserer Böden – kurz: die unfassbare Verschwendung noch jeder Ressource. Wir sind längst nicht aus dem Schneider, wenn wir ein Weg gefunden haben, freigewordenes CO2 wieder zu binden und zu lagern, wenn wir am Ende doch noch die längst überholt geglaubte Atomenergie wiederbeleben. Wir müssen radikal umdenken und unser Verhalten grundsätzlich ändern. Das aber rüttelt an den Fundamenten unseres Wirtschaftens: der Illusion endlosen Wachstums in einer Welt begrenzter Ressourcen.

Die Abwesenheit der Vernunft

Vernunft war noch nie die treibende Kraft menschlichen Handelns, schon gar nicht in der Politik. Aber die Diskussion um die Kohle lässt das ganze Ausmaß der Irrationalität deutlich werden! In der öffentlichen Diskussion werden vor allem die Arbeitsplätze angeführt, die einem schnellen Ausstieg im Wege stehen. Dabei ist es längst unstrittig, dass jede weitere Verstromung der Kohle immer gravierendere Folgeschäden verursachen wird, die vielleicht nicht mehr wir, auf jeden Fall aber unsere Kinder und Enkel werden schultern müssen. Wohlgemerkt – es geht nicht nur um rein wirtschaftliche Kosten, um entgangene Gewinne und einen möglichen Verfall der Firmenanteile, es geht um Ernteausfälle, um immer längere Hitzeperioden und ihre Todesopfer. Das daraus resultierende Leid, die daraus resultierenden Schäden werden die Kosten, die durch die Aufgabe des Tagebaus entstehen, um ein Vielfaches übersteigen. Aber keine Frage: letztere gehen zu Lasten der Unternehmensgewinne und der Steuerzahler, d.h. der Wähler. Demgegenüber haben die später Geschädigten schlicht keine Stimme – und unsere liberale Gesellschaftsordnung lebt halt ganz nach der Devise: Jeder ist seines Glückes Schmied. Pech, wenn er noch keinen Hammer schwingen kann …

Notwehr

Es ist inzwischen unstrittig, dass der Klimawandel auch heute schon Opfer fordert und dass die Zahlen steigen werden – nicht nur in weit entfernten Regionen, sondern eben auch hier bei uns. Somit ist zumindest der CO2-Ausstoß, der schlicht überflüssig, weil nicht unmittelbar als existenzerhaltend legitimiert ist, eine potenzielle Körperverletzung, teils fahrlässig, teils vorsätzlich. Dass immer mehr Kommunen und Staaten den Klimanotstand ausrufen, trägt diesem Umstand Rechnung. Und wenn die eigene Existenz bedroht ist, ist Notwehr eine legitime Reaktion. Es fragt sich also nur noch: Wie konkret und unmittelbar muss diese Existenzbedrohung sein bzw. wie massiv und erwartbar. Müssen unsere Kinder es hinnehmen, dass einzelne, ganz gleich, ob privat oder in öffentlichem Auftrag, ihre künftige Handlungsfreiheit, ihre Gesundheit und gar ihr Leben durch Gleichgültigkeit, Ignoranz und Gier verspielen? Wann ist es gerechtfertigt, dem ein Ende zu bereiten? Und wann ist es eine Pflicht?

Recht auf Eigentum?

Es gibt kein Recht auf Eigentum, soweit es unmittelbar oder mittelbar auf Kosten Einzelner oder des Gemeinwohls erwirtschaftet wird. Das aber bedeutet in letzter Konsequenz, dass unsere Eigentumsverhältnisse letztlich nicht legitimieren lassen – ganz gleich, ob wir die großen Vermögen oder die kleinen Besitztümer in den Blick nehmen. Kalkulieren wir beispielsweise die Kosten des Individualverkehrs mit all der Schadstoffbelastung von Luft, Boden und Wasser, dem Flächenverbrauch, dem Lärm, den Verkehrsopfern – wer könnte sich noch ein Auto leisten, wenn er für all das aufkommen müsste, was seiner persönlichen Verantwortung unterliegt, was von den Gewinnen der Automobilbranche bliebe übrig? Nichts anderes gilt für die Mineralölindustrie, die industrielle Landwirtschaft, die Unterhaltungselektronik etc. Und all die kleinen Besitztümer, die die Menschen sich durch ihre Arbeit in nicht ganz schlecht bezahlten abhängigen Beschäftigungsverhältnissen zusammengespart haben – sind sie in diesem Sinne legitim? Jedenfalls scheint es vor diesem Hintergrund mehr als gerechtfertigt, mit den aktuellen Eigentumsverhältnissen auch das unbedingte Primat des Eigentums vor nahezu allen anderen Werten in der bürgerlichen Gesellschaft grundsätzlich in Frage zu stellen.

Wenn Verbote schützen

Eigentlich schreit die drohende Klimakatastrophe nach vielfältigen Verboten. Aber das – so lässt sich dem politischen Diskurs entnehmen – wäre das Schlimmste, was der Gesetzgeber dem mündigen Bürger einer freien Gesellschaft zumuten könnte. Und so ist das Schlimmste, was wiederum einer Partei derzeit passieren kann, als Verbotspartei denunziert zu werden. Dabei hat sich längst gezeigt, dass Appelle an die Vernunft bei der Lösung unserer Probleme zwar nicht wirkungslos sind – aber das Konsumverhalten auch der Mehrheit müsste sich jetzt ändern, nicht erst in den kommenden Generationen.

Also vielleicht sollten wir uns einmal vor Augen halten, dass Kultur überhaupt sich dem Tabu und dem Verbot verdankt, dass am Anfang insbesondere der abrahamitischen Religionen das Wort Gottes steht: das Gesetz. Und ganz gleich, ob religiös oder nicht: Wer möchte schon darauf verzichten, etwa auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit? Und was ist das Verbot von CO2-Emissionen, von Feinstaub in der Luft, von Plastik oder Glyphosat in der Nahrungskette, von Nitrat oder Antibiotika im Grundwasser etc. etc., was sind denn diese notwendigen Verbote anderes als eben der ausnahmslos allen zustehende Schutz der körperlichen Unversehrtheit?

„Change the system, not the climate“

Es ist durchaus offen, ob es ein anderes System (noch) schaffen kann, das Schlimmste zu verhindern – zumal sich ein anderes gegenwärtig kaum abzeichnet, zumindest nicht als konkretes Modell. Es darf allerdings als sicher angenommen werden, dass dies dem Kapitalismus und der repräsentativen Demokratie kaum gelingen wird. Politik und Wirtschaft sind frühzeitig gewarnt worden und hatten nahezu 50 Jahre Zeit, durch behutsame Lenkung die Entwicklung eines nachhaltigen Wirtschaftens auf den Weg zu bringen. Statt dessen haben sie die zerstörerischen Kräfte des kapitalistischen Systems immer mehr entfesselt. Der Kapitalismus der letzten zweihundert Jahre jedenfalls ist nur noch eines: die Bankrotterklärung der menschlichen Vernunft – und unserer demokratischen Strukturen.

Bar jeder Vernunft

Die Klimapolitik (nicht nur) der Bundesregierung ist der verzweifelte Versuch, das Ruder herumzureißen, ohne die Richtung zu wechseln. Wir haben den (leider kaum genügenden) Anspruch, innerhalb einer Generation CO2-neutral zu leben – unseren auf Verschwendung und unmäßigen Konsum ausgerichteten Lebensstil aber möchten wir eigentlich lieber nicht ändern. Langfristig soll beispielsweise das Elektroauto unsere hohen Ansprüche an individuelle Mobilität retten. Dabei übersehen wir einen entscheidenden Punkt: Was immer wir so an schädlichen Emissionen und knappen Ressourcen einsparen, es wird nicht reichen, um das Klima zu bewahren und gleichzeitig allen Menschen unseren Lebensstandard zu erlauben. Wir werden also doch lernen müssen zu verzichten! Warum karren wir beispielsweise Trinkwasser kreuz und quer durch Europa, obwohl eigentlich überall genügend sauberes Wasser lokal verfügbar ist. Damit jeder die Marke seiner Wahl trinken kann, ganz gleich, wo er ist und ganz gleich, wie teuer uns dieser Luxus zu stehen kommt?

Wie wäre es, wir fangen genau jetzt mit dem Verzicht schon mal an – zumindest da, wo es nicht einmal weh tut? Die Frage ist hier eigentlich nicht, wie und warum wir den Transport von Wasser, von einigen regionalen Ausnahmen abgesehen, verbieten sollten – die Frage ist, wie kann er überhaupt erlaubt sein?