Geschichtsklitterung

Wer künftig die NS-Vernichtungslager auf polnischem Boden als „polnische Todeslager“ bezeichnet, riskiert eine dreijährige Haftstrafe. Den Vorwurf der Geschichtsklitterung liegt nahe, doch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki weist ihn entschieden zurück. Und natürlich waren diese Lager auf polnischem Boden keine polnischen Lager. Es waren die Vernichtungslager des NS-Staates, geplant, verwaltet und befehligt von deutschen Nazis – insofern also waren sie unzweifelhaft deutsche Vernichtungslager. Aber dann verrät Morawiecki sich doch, wenn er twittert: „Jews, Poles, and all victims should be guardians of the memory of all who were murdered by German Nazis.“ Genau da scheint sie durch, die Geschichtsverfälschung, die Polen von israelischer Seite vorgehalten wird. Es waren deutsche Lager – aber es waren Nazis unterschiedlichster Nationalitäten, die in den Lagern gemordet haben – und es waren Menschen unterschiedlichster Herkunft, die die Juden und politisch Verfolgten denunziert und an die SS ausgeliefert haben. Fast möchte man dies als sprachliche Ungenauigkeit durchgehen lassen – immerhin betont er in seinem Tweet die teuflische Rolle der Ideologie. Aber kann man ihm das wirklich abnehmen – angesichts der zutiefst konservativen und nationalistischen Wende in der polnischen Politik, die alles andere als entsetzt ist über all die Nazis, die da wieder aus ihren Löchern kriechen und all der Fackeln und Fahnen zum Trotz eben kein „schöner Anblick“ sind …

Noch einmal: Mitte der Gesellschaft

Was meint eigentlich Mitte der Gesellschaft? Wo – bitte – soll das sein? Anders: Wer definiert diesen Ort? Nur so viel: um so mehr Menschen den rechten Bauernfängern erliegen, um so weiter driftet auch die Mitte nach rechts. So lag diese Mitte spätesten Ende der 30er Jahre irgendwo im Spektrum der NSDAP. Wenn Politiker aber den Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus, gegen all diese braunen Parolen Ernst meinen, dann müssen sie sich auf demokratische und soziale Werte beziehen. Wer allzu sehr nur auf die Mitte, diesen Nichtort fixiert bleibt, versinkt am Ende noch im braunen Sumpf.

Willkommen in der Mitte der Gesellschaft

Seit sich die Ereignisse in Folge der steigenden Flüchtlingszahlen verschärfen, betonen immer mehr Politiker und Journalisten, dass die lautstarken bis handgreiflichen Proteste gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen nicht nur von einigen wenigen Verwirrten am rechten Rande der Gesellschaft getragen werden, sondern auch mehr und mehr von Menschen „aus der Mitte der Gesellschaft“. Was aber soll das eigentlich heißen? Was oder wo soll diese Mitte der Gesellschaft sein?

Wenn wir diese Mitte der Gesellschaft nicht genauer verorten können – was bezwecken Politik und Medien mit diesem Hinweis? Die Mitte der Gesellschaft – sie soll als Inbegriff des Vernünftigen und Guten verstanden werden, als Fluchtpunkt des demokratischen Konsenses – da sich nicht nur rechts und sondern glücklicherweise auch links diskreditiert haben. Wenn aber nunmehr Menschen, die vermeintlich dieser Mitte entstammen, übergriffig werden, dann meint der Hinweis auf die Mitte der Gesellschaft genau dieses: Seht her, wie sehr eure (natürlich falsche) Politik die Menschen zur Verzweiflung treibt und welches Ausmaß die (natürlich berechtigten) Ängste dieser harmlosen Bürger inzwischen angenommen haben. Wer will da noch widersprechen?

Dieser Hinweis bewirkt also vor allem eines: Dass die Auseinandersetzung über unsere gemeinsamen Werte sich erübrigt, in deren Verlauf wir vielleicht feststellen müssten, dass die Mehrheit sich gerade von den zentralen Werten verabschieden – so, wie es bei unseren östlichen Nachbarn längst geschehen ist.

Wie beängstigend diese Mitte längst ist, zeigen nicht nur, aber eben auch die selbsternannten Bürgerwehren, die sich plötzlich überall zusammenrotten, weil das staatliche Gewaltmonopol angeblich versagt hat. Vor wem aber wollen Sie uns schützen, diese braven Bürger? Vor den zahlreichen Brandstiftern, die den Flüchtlingen sagen wollen, dass sie sich hier nicht in Sicherheit wiegen sollen? Vor dem rechten Mob, der seit Jahren bereits nachts Jagd macht auf vermeintlich Fremde. Vor sexistischen Übergriffen wie von diesen Pick-Up-Artists, die glauben, Mann könne aus einer frauenverachtenden Haltung oder psychischen Störungen eine Kunst machen? Vor all den anderen Sexualstraftätern, die seit Jahr und Tag ihr Unwesen treiben und – ja genau – allesamt aus der Mitte unserer Gesellschaft stammen, wie die Opfer in den Internaten und Kinderheimen bezeugen können. Nun, die neuen Bürgerwehren werden diesen Gefahren, denen wir bereits seit Jahrzehnten ausgesetzt sind, wohl eher keine Aufmerksamkeit schenken. Sie halten Ausschau nach dem Anderen, das ihre Vorurteile bestätigt und niedere Instinkte nährt. Insofern dürfen wir all den Kriminellen und Verstörten aus anderen Ländern, die natürlich auch den Weg zu uns finden, vielleicht schon bald zurufen: Willkommen in der Mitte der Gesellschaft!

In guter Gesellschaft

Es scheint, als sei der hässliche Deutsche doch nur eine verschwindende Minderheit im Land. Dafür gesellen sich andere an seine Seite: allen voran der hässliche Ungar, gefolgt vom hässlichen Polen, dem hässlichen Tschechen und dem hässlichen Slowaken. Der Auftritt ihrer politischen Führung in Prag hinterlässt jedenfalls einen äußerst faden Geschmack, haben diese Länder bisher doch nicht wenig von der Solidarität der Europäer profitiert. Da ihnen aber die Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen so fremd ist – ganz gleich, ob diese der nackte Gewalt oder dam blanken Elend weichen –, werden sie bestimmt so konsequent sein und künftig keine weiteren Hilfen der EU mehr in Anspruch nehmen. Die könnte die EU dann den vertriebenen Menschen zur Verfügung stellen.

Nachtrag: Zugegeben – es ist schlicht Fassungslosigkeit, besser: Empörung, die hier zum Ausdruck kommt. Aber natürlich ist Europa reich genug, um den notleidenden Menschen helfen zu können, ohne anderen gleich die Unterstützung streitig machen zu müssen. Es fehlt allenfalls der politische Wille, um eben jene in die Pflicht zu nehmen, die an dem Elend in der Welt bisher mehr als gut verdient haben …

Hässliche Deutsche

Die hässlichen Deutschen kriechen wieder aus ihren Löchern und machen die Straßen unsicher. Und – welch Überraschung – es ist gar nicht nur der braune Mob, es sind ganz normale Menschen, sogar „Frauen mit Kinderwagen und Kinder“ (WAZ, 24.08.2015). Als ob die hässliche Fratze des Wen-auch-immer-Hasses nur die Gesichter einer braunen Minderheit entstellen könnte – das wissen wir doch wahrlich besser! Währenddessen lacht sich das neoliberale Gesindel ins Fäustchen: Solange die Menschen voller Wut auf das Fremde starren, fragen sie nicht, wer sich eigentlich die ganzen Vermögenszuwächse der letzten Jahrzehnte unter den Nagel reißt.

Christlich-soziale Willkommenskultur

Wer auch immer – wie beispielsweise Monika Hohlmeier (CSU) – die EU-Mission Triton als angemessene Fortsetzung des italienischen Programms Mare Nostrum schönredet und Mittel für eine effektive Rettung in Seenot geratener Bootsflüchtlinge verweigert, weil man damit nur weitere Menschen aus den Krisengebieten dieser Erde ermutige, macht sich mindestens der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Auf den zweiten Blick aber erfüllt es wohl doch den Tatbestand der eher vorsätzlichen denn fahrlässigen Körperverletzung – die billigende Inkaufnahme hundertfachen Todes eingeschlossen. Eine wahrlich christliche und ebenso furchteinflößende Willkommenskultur – man mag sich gar nicht ausmalen, was diese gläubigen Menschen dir antun, wenn du nicht willkommen bist!

„Die sind doch nicht alle blöd“

Die Reaktionen der Politik auf Pegida zeugen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – von einer seltenen Unsicherheit, weiß man hier doch nie, ob man nicht auch das eigene Klientel verprellt. Dass Ausländerfeindlichkeit latent eigentlich schon immer in der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ – wer immer das auch sein möge – zu Hause ist, sich bisher aber kaum jemand gefunden hat, der sich über die Political Correctness hinwegsetzt und die Ausländerfeindlichkeit nicht nur als spontane Äußerung artikuliert, das ist doch kein Geheimnis – man hört es halt nur nicht so gern. Jedenfalls wird man nun – vielleicht auch, weil es so schon viele sind – nicht müde darauf hinzuweisen, dass nicht alle Anhänger der Pegida blöd sein können. Aber warum eigentlich nicht? Ganz ehrlich: da fühlen sich Menschen von einem Bevölkerungsanteil im untersten einstelligen Prozentbereich bedroht und ausgenutzt, und gleichzeitig wird immer wieder aufs neue öffentlich, dass nicht nur eine kriminelle Elite, sondern auch große Konzerne den Steuerzahler in den letzten Jahrzehnten um Milliardenbeträge geprellt haben – das aber und die Politik, die diesen Umstand aktiv befördert oder aber doch stillschweigend toleriert hat, ist kein Aufbegehren wert, obwohl so die angebliche Krise der öffentlichen Haushalte und der sozialen Sicherungssysteme eigentlich nie hätte ein Thema werden müssen. Und wir hätten – ganz nebenbei bemerkt – auch noch genug Geld in der Portokasse, um den Menschen, die nicht zuletzt auch vor deutschen Waffen aus ihrer Heimat fliehen, ein angemessenes Auskommen und eine nachhaltige Unterstützung bei der Integration zu bieten.